Situation am Ende des ersten Millenium Jahrzehntes

Die Vereinten Nationen und die Unterorganisationen

hatten sich zum Ziel gesetzt, die Armut und das Elend dieser Erde bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Jetzt haben wir bereits das Jahr 2010 hinter uns und wie sieht die aktuelle Situation aus?

„Augen, die nichts sehen, ein Herz, das nichts empfindet“
„Ojos que no ven, corazón que no siente“ (einem kubanischen Volkslied entnommen).

Nur selten in der Geschichte haben die Verantwortlichen der westlichen Welt so viel Blindheit, so viel Gleichgültigkeit, so viel Zynismus bewiesen wie heute. Ihre Realitätsleugnung ist beeindruckend.

Im ersten Quartal 2008 sind in siebenunddreißig Ländern des Südens, von Ägypten bis zu den Philippinen, von Bangladesh bis Haiti, Hungeraufstände ausgebrochen. Der steile Anstieg der Lebensmittelpreise lässt ganz neue soziale Schichten, vor allem in den Städten, verelenden. Die Angehörigen dieser Schichten, die 80 bis 90 Prozent ihres Einkommens für Ernährung ausgeben müssen, verfügen nicht über genügend Mittel, um ihren täglichen Bedarf an Lebensmitteln zu decken. Sie gehören zu den 2,2 Milliarden Menschen der südlichen Hemisphäre, die in „absoluter Armut“ leben, wie es in der dürren Sprachregelung heißt.

Im ersten Quartal 2008

ist auf dem Weltmarkt der Reispreis im Durchschnitt um 59 Prozent und der des Getreides, des Mais und der Hirse um 61 Prozent gestiegen. Diese Preise werden generell FOB (free on board, frei an Bord) und nicht CIF (cost, insurance, freight, Kosten, Versicherung und Fracht bis zum Bestimmungshafen) ausgewiesen, mit anderen Worten, wir müssen hier noch die Transportkosten hinzurechnen.
Seit Ende 2008 sind die Weltmarktpreise der Grundnahrungsmittel starken Schwankungen unterworfen. Grundnahrungsmittel sind Reis, Mais, Getreide. Sie machen zusammen rund
70 Prozent des Nahrungsmittelkonsums der Welt aus.

Die erste Strategie geht auf das Konto des Internationalen Währungsfonds (IWF). Um die kumulierten Auslandsschulden der 122 Länder der südlichen Hemisphäre, die sich am
31. Dezember 2008 auf 2,1 Billionen Dollar beliefen, einzudämmen, verordnete der IWF den ärmsten dieser Länder regelmäßig sogenannte Strukturanpassungsmaßnahmen. Praktisch alle diese Pläne fördern die Exportlandwirtschaft auf Kosten des Nahrungsmittelanbaus. Die Länder des Südens müssen sich um jeden Preis Devisen beschaffen, dies geht meist nur über den Export von Baumwolle, Soja, Rohrzucker, Palmöl, Kaffee, Tee, Kakao usw. Der IWF wacht praktisch über die Interessen der großen Gläubigerbanken und der multinationalen westlichen Konzerne.
Aus diesem Grund trägt der IWF in zahlreichen Ländern des Südens zur Vernichtung der dem Nahrungsmittelanbau dienenden Landwirtschaft bei.

Eine weitere wichtige Rolle

spielt die Spekulation. Schätzungsweise 50 bis 60 Prozent des Preisanstiegs der Grundnahrungsmittel geht auf Spekulationsgewinne zurück. Die Spekulanten strichen schwindelerregende Profite ein.

Der dritte Grund für die Preisexplosion ist die Umwandlung von hunderten Millionen Tonnen Mais und Getreide (Palmöl etc.) in Bioethanol und Biodiesel. Der weitaus größte Produzent sind die USA. 2008 verbrannten die US-Agrarkonzerne, subventioniert durch Milliarden öffentlicher Gelder, 138 Millionen Tonnen Mais (rund ein Drittel der gesamten Ernte) und hunderte Millionen Tonnen Getreide.

Präsident Bush und nach ihm Präsident Obama rechtfertigen die Strategie folgendermaßen:
"Einerseits bekämpft die Ersetzung von fossiler durch pflanzliche Energie die Luftverschmutzung, andererseits reduziert diese Strategie die Auslandsabhängigkeit der USA vom Erdöl."

Beide Motive sind auf den ersten

Blick vertretbar. Bei näherer Betrachtung bedeutet die Strategie jedoch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Um den 50-Liter-Tank eines Mittelklassewagens mit Bioethanol zu füllen, werden 358 kg Mais verbrannt. Mit 358 Kilogramm lebt ein Kind in Zambia oder Mexiko, wo Mais Grundnahrungsmittel ist, ein Jahr lang.

Die westlichen Nahrungsmittelkonzerne erzielen mit Biodiesel und Bioethanol astronomische Gewinne.
Soll das Bettelvolk auf der Südhälfte des Planeten doch krepieren!

In der südlichen Hemisphäre vernichten Epidemien, Hunger, verschmutztes Wasser und durch Elend ausgelöste Bürgerkriege jedes Jahr fast ebenso viele Menschen wie der Zweite Weltkrieg in sechs Jahren.

(in Auszügen aus Jean Ziegler: Der Hass auf den Westen und aus persönlichen Erfahrungen und Berichten aus den Partnerorten der BRÜCKE DER FREUNDSCHAFT)